Aktuelles | Vorträge
Vorträge des Mindener Geschichtsvereins in der Saison 2025 / 26
Der Eintritt zu allen Vorträgen ist frei. Es wird um eine Spende gebeten.
Mittwoch, 12. November 2025, 19.30 Uhr
Aula Ratsgymnasium Minden, Königswall 28, Minden
Prof. Dr. Wolfgang Benz
Zukunft der Erinnerung
In den ersten Jahrzehnten des Nichterinnernwollens umschrieb die Vokabel „Vergangenheitsbewältigung“ das deutsche Unbehagen, sich mit der nationalsozialistischen Herrschaft auseinander zu setzen. Das Kriegsende stand im Zeichen der militärischen Niederlage, die politische Ohnmacht unter Besatzungsregime wurde von vielen als Siegerwillkür, der Wiederaufbau zerstörter Städte und Infrastruktur als Sühneleistung empfunden. Einsicht und Betroffenheit über den Judenmord, Menschheitsverbrechen und Kern der NS-Ideologie, vermittelte erst Ende der 1970er Jahre die US-amerikanische TV-Serie „Holocaust“. Die Rede des Bundespräsidenten Weizsäcker zum 40. Jahrestag des Endes von Krieg und Gewaltherrschaft legte den Grundstein einer Erinnerungskultur mit dem Anspruch, aller Opfer der NS-Ideologie zu gedenken, aus der Geschichte zu lernen und Aufklärung künftigen Generationen zu vermitteln. Politisch und moralisch ist das der Auftrag zur Demokratie und zum Widerstand gegenüber autoritären, fremdenfeindlichen, rassistischen und anderen menschenverachtenden Tendenzen, wie sie von rechten Populisten, Demagogen, Wutbürgern, Querdenkern u. a. Demokratiefeinden propagiert werden.
Prof. Dr. Wolfgang Benz, Historiker und Vorurteilsforscher, 1969–1990 Referent am Institut für Zeitgeschichte München, dann bis 2011 Professor und Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin, Gastprofessuren in Australien, Mexiko, Bolivien, Nord-Irland und Österreich. Mitglied in Gremien der Forschung, der Politischen Bildung und der Gedenkarbeit, derzeit u. a. Sprecher des wissenschaftlichen Beirats der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, der Stiftung Bayerische Gedenkstätten. Mitglied im PEN. Autor und Herausgeber zahlreicher Veröffentlichungen zur deutschen Geschichte, zum Antisemitismus und zur Vorurteilsforschung, u. a. Handbuch des Antisemitismus, 8 Bände, München/Berlin 2008–2015. Zuletzt: Allein gegen Hitler. Leben und Tat des Johann Georg Elser (2023), Exil. Geschichte einer Vertreibung 1933-1945 (2025), Zukunft der Erinnerung. Das deutsche Erbe und die kommenden Generationen (2025).
Die Veranstaltung ist eine Kooperation von KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica e. V. und dem Mindener Geschichtsverein e. V.
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Dienstag, 18. November 2025, 19.30 Uhr
Marienstift Minden, Stiftstraße 2b, Minden
Dr. Philip Knäble
Lehraufträge, Gartenpflege, Remigrationspläne. Das Vlothoer Collegium Humanum und die Region OWL (1963–1985)
Die von Werner Haverbeck (+1999) und Ursula Haverbeck-Wetzel (+2024) geleitete Bildungsstätte „Collegium Humanum“ in Vlotho war bis zu ihrem Verbot 2008 durch das Bundesinnenministerium ein zentraler Tagungsort von rechtsextremistischen Gruppierungen und HolocaustleugnerInnen. Bis Anfang der 1980er Jahre waren die Kontakte der Haverbecks in das rechtsextreme Milieu allerdings kaum bekannt. Im Gegenteil, das Collegium Humanum galt gemeinhin als progressive, politisch eher links zu verortende Einrichtung, in der sich viele AkteurInnen aus Gewerkschaften und Hochschulen sowie der Friedens- und Umweltbewegung zu gemeinsamen Seminaren und Diskussionen trafen.
Der Vortrag zeigt die Einbindung des „Collegium Humanum“ in die Bildungslandschaft in der Region OWL von den 1960er bis 1980er Jahren auf. Er beleuchtet die Kontakte zu den anderen Vlothoer Bildungsstätten als auch nach Bielefeld und Minden, wo Werner Haverbeck als Dozent an der Fachhochschule für Ingenieurwesen lehrte. Das Beispiel der Haverbecks zeigt, dass die extreme Rechte sehr wandlungsfähig ist und auch Einfluss auf das alternative Milieu hatte – damals wie heute.
Dr. Philip Knäble ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte der Georg-August-Universität Göttingen. Er hat in Bielefeld und Paris 7 Geschichte und Sozialwissenschaften studiert und wurde 2014 mit einer Arbeit über das Verhältnis von Tanz und Kirche im spätmittelalterlichen Frankreich promoviert. Seine Forschungsschwerpunkte sind mittelalterliche Körpergeschichte, frühzeitliche Missions- und Wirtschaftsgeschichte und die Verbindungen zwischen der Umweltbewegung und der extremen Rechten in den 1970/1980er Jahren.
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Dienstag, 2. Dezember 2025, 19.30 Uhr
Hansehaus, Papenmarkt 2, Minden
Andreas Jaeger
Wittekind: Geburt einer Sagenfigur. Was war es, das Wittekind besonders in dieser Region zur Sagenfigur werden ließ?
In Ostwestfalen tobte Ende des 8. Jahrhunderts ein dreißigjähriger Krieg. Die Franken unter König Karl eroberten das heutige Ravensberger Land. Einer der Gegner Karls ist den Menschen zwischen Teutoburger Wald und Wiehengebirge und vom Osnabrücker bis ins Mindener Land noch immer präsent: Wittekind. Nur eine Handvoll mal wird Wittekind in einem Zeitraum von acht Jahren während der 33-jährigen „Sachsenkriege“ vor 1.250 Jahren in den Quellen genannt. Und doch reichte diese Zeit aus, ihn in Ostwestfalen zum Sagenhelden werden zu lassen. Die Sagenwelt um Wittekind wurde in verschiedenen Epochen von regionalen, nationalen und internationalen Abläufen beeinflusst, ergänzt, gedeutet, gebraucht und missbraucht. Dennoch müssen besondere Umstände dazu geführt haben, dass sich Wittekind überhaupt als Sagenheld manifestieren konnte. Das Ravensberger Land muss unter Wittekind – dieser Name ist den meisten geläufiger als der historisch korrekte Name Widukind – eine besondere Rolle im Krieg gespielt, die Niederlage Kontinuitätsbrüche markiert und ein Trauma hinterlassen haben.
Was war es, das Wittekind besonders in dieser Region zur Sagenfigur werden ließ und Straßen, Wege, Schulen und selbst der Landkreis Herford nach ihm benannt sind? Warum ist Wittekind bis heute, über ein Jahrtausend später, im Ravensberger und Mindener Land sichtbar?
Andreas Jaeger ist Politologe, er lebt im Kreis Minden-Lübbecke und ihn fasziniert seit seiner Kindheit die Sagenwelt um Wittekind/Widukind. Jaeger ging auf das Wittekind-Gymnasium in Lübbecke, arbeitete viele Jahre im Wittekind-Kreis Herford und ist Autor des Buches "Wittekind. Geburt und Genese einer Sagenfigur". Heute arbeitet er vorwiegend in Niedersachsen und Hessen für den Netzausbau im Rahmen der deutschen Energiewende.
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Dienstag, 20. Januar 2026, 19.30 Uhr
Hansehaus, Papenmarkt 2, Minden
Uschi Bender-Wittmann M. A.
Der Kurfürst, die Regierung, der Amtmann und seine Frau. Ein Blick auf die Endphase der Hexenprozesse im Fürstentum Minden.
Wenn wir an Hexenprozesse denken, erscheint vor unserem geistigen Auge ein fast stereotyper Ablauf: In den Akten werden Gerüchte oder Besagungen durch bereits Verurteilte notiert, dann folgen Inhaftierung, Verhöre und Folter, juristische Stellungnahmen, Geständnis, Halsgericht und Hinrichtung der oder des Angeklagten.
Doch es gab auch ein Vor- und Umfeld der Verfahren wegen Hexerei, in dem die Fragen, wer TäterIn und wer Opfer war, wer angeklagt wurde und um welches Vergehen es eigentlich ging, hart umkämpft waren - vor allem, wenn es sich um Personen handelte, die öffentliche Ämter bekleideten und die Mittel hatten, Ruf, Ehre und Status zu verteidigen. Und je stärker die gesellschaftliche Oberschicht sich bedroht sah, in einen Hexenprozess verwickelt zu werden, desto notwendiger erschien es mitunter, die Dynamik der Prozesse zu brechen.
Der Vortrag beleuchtet dieses Vor- und Umfeld anhand von Beispielen.
Uschi Bender-Wittmann M.A., Studium der Geschichtswissenschaften in Düsseldorf und Bielefeld. Langjährige wissenschaftliche Mitarbeiterin im Mindener Museum. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Hexenverfolgungen.
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Dienstag, 10. Februar 2026, 19.30 Uhr
Kleines Theater am Weingarten, Königswall 97, Minden
Prof. Dr. Gerd Schwerhoff
Der (süd-)deutsche Bauernkrieg – räumliche und zeitliche Umrisse des Massenaufstands von 1525
Für diese Veranstaltung ist eine Anmeldung unter
geschaeftsstelle@mindener-geschichtsverein.de nötig.
Zum 500. Jubiläums des Bauernkriegs hat die Geschichtsforschung mit zahlreichen neueren Studien den Massenprotest von 1525 vielfach neu vermessen. Während in früheren Jahrzehnten eher die sozioökonomischen Strukturen oder die programmatischen Forderungen der Aufständischen im Mittelpunkt standen, wird aktuell eher aus einer auf die Akteure zentrierten Perspektive konkreter nach den Handlungen der Bauern und ihrer Gegner gefragt und z. B. diskutiert, wer wann welche Formen von Gewalt ausübte. Vor diesem Hintergrund stellt sich auch die Frage nach den räumlichen Grenzen des Geschehens neu: Warum gab es nördlich von Mosel und Rhein kaum Unruhen, und warum blieb es z. B. in Westfalen vollkommen ruhig? Geben neuere Forschungsansätze auf diese Fragen eine Antwort, oder müssen wir dazu doch eher auf strukturgeschichtliche Überlegungen zurückgreifen? Der Vortrag gibt einen Überblick über die neuere Forschungslandschaft und versucht vorsichtig, mögliche Antworten zu diskutieren.
Prof. Dr. Gerd Schwerhoff ist Seniorprofessor an der Technischen Universität Dresden. Dort hatte er von 2000 bis 2024 den Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit inne, nachdem er zuvor in Köln und Bielefeld studiert hatte. Dort wurde er 1989 promoviert und habilitierte sich 1996. Zu seinen Arbeitsgebieten gehört die Kriminalitätsgeschichte, die Stadtgeschichte, die Geschichte der öffentlichen Räume sowie Geschichte und Gegenwart herabsetzenden Sprechens. Letzte Buchveröffentlichungen „Köln im Ancien Regime 1686–1794 (2017), „Verfluchte Götter. Geschichte der Blasphemie (2021) und „Der Bauernkrieg. Geschichte einer wilden Handlung“ (2. Auflage 2025).
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Dienstag, 3. März 2026, 19.30 Uhr
Kleines Theater am Weingarten, Königswall 97, Minden
Prof. Dr. Christina Morina
1000 Aufbrüche. Die Deutschen und ihre Demokratie
Für diese Veranstaltung ist eine Anmeldung unter
geschaeftsstelle@mindener-geschichtsverein.de nötig.
Die Ost-West-Debatte der Deutschen ist oft von gegenseitigem Unverständnis und Zuspitzungen geprägt. Christina Morina vermeidet die übliche Frontenbildung und rückt in ihrem aktuellen Buch – anhand vieler bisher unerforschter Selbstzeugnisse wie Bürgerbriefe, Petitionen und Flugblätter – die Demokratievorstellungen und das Selbstverständnis ganz normaler Bürgerinnen und Bürger in Ost und West seit den 1980er Jahren in den Fokus. Indem sie die Demokratiegeschichte der Bundesrepublik und die Demokratieanspruchsgeschichte der Deutschen Demokratischen Republik miteinander verzahnt, kann sie maßgebliche Unterschiede und wechselseitige Bezüge im Staats- und Politikverständnis herausarbeiten. So entsteht ein differenziertes Bild: Viele Bewohner der DDR identifizierten sich mit ihrem Land und dessen »volksdemokratischen« Idealen, blieben dem Staat und seinen Institutionen gegenüber jedoch skeptisch. Diese Staatsferne gepaart mit einem oft provinziell-utopischen Bürgersinn, dessen Potentiale nach der Vereinigung weitgehend ungenutzt blieben, wirkt bis heute nach. Im Zusammenspiel mit einem wiedererstarkenden Nationalismus im Westen entstand so nicht zuletzt auch der Nährboden für den Aufstieg des Rechtspopulismus. Christina Morinas Buch offenbart somit die Grenzen der westdeutschen Liberalisierung ebenso wie die Vielfalt der ostdeutschen Demokratieaneignungsversuche. Und es lädt dazu ein, über die gegenwärtig so prekäre Lage der Demokratie neu nachzudenken.
Prof. Dr. Christina Morina ist seit 2019 Professorin für Allgemeine Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte an der Universität Bielefeld. Das Jahr 2024/25 verbrachte sie als Theodor-Heuss-Professorin an der New School in New York/USA. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Gesellschafts- und Erinnerungsgeschichte des Nationalsozialismus, der politischen Kulturgeschichte des geteilten und vereinigten Deutschlands sowie in dem Verhältnis von Geschichte und Gedächtnis. Morina habilitierte sich 2016 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena mit der Arbeit „Die Erfindung des Marxismus. Wie eine Idee die Welt eroberte“ (Siedler, 2017), die mit dem Geisteswissenschaften International Übersetzungspreis ausgezeichnet wurde und 2024 auch auf Englisch erschien. Für „Tausend Aufbrüche“ erhielt Morina 2024 den Deutschen Sachbuchpreis.